Ganz einfach: weil es nur ganz frisch leicht herzustellen ist. Sobald man es (oder besser gesagt, seine Konsistenz) haltbar machen will, fängt es an, richtig kompliziert zu werden. Zudem ist gute Eiscreme recht teuer.
Die meisten von uns kennen gar keine richtig gute Eiscreme. Ein paar mehr kennen eventuell ein gutes Sorbet. Vor ca. zehn Jahren habe ich mich zusammen mit Juan Amador, einem der besten 3 Sterne Köche Europas, daran gemacht, in unserer gemeinsamen Firma A-Innovation die beste Eismaschine für die Spitzengastronomie zu entwerfen. Dabei bin ich tief in die Wissenschaft des Eismachens eingetaucht.
Ein gutes, frisches Sorbet ist noch einfach herzustellen. 100% Fruchtsaft, Zucker, eventuell ein bisschen Zitronensaft und eine Prise Salz auf minus 15 Grad frieren, mit einer Gabel aus dem Behälter kratzen und direkt servieren. Sehr einfach und ein echter Genuss.
Bei der Eiscreme wird es schon etwas schwieriger. Milch, Sahne, Fruchtsaft, Zucker, Salz langsam runter kühlen und dabei immer in Bewegung halten. Das funktioniert am besten mit einer Eismaschine, die wie eine Conche bei der Schokoladenherstellung funktioniert. Das alles muss sehr sanft geschehen, damit sich möglichst feine Eiskristalle bilden. Je nach Zusammensetzung erreicht man bei ca. -12 bis -15 Grad eine sehr cremige Konsistenz. Damit ist die Creme fertig und kann direkt serviert werden. Wer es etwas fester mag, friert die Creme noch ein bis zwei Stunden bei -24 Grad nach.
Was in einem Gourmetrestaurant noch gut funktioniert, ist spätestens in der Eisdiele schon sehr schwierig und in der Industrie fast unmöglich. Denn das Eis verliert seine Cremigkeit nach einer Weile in der Eisvitrine und ist für die Industrie nicht fest genug, um am Stiel haften zu bleiben.
Ich reiße an dieser Stelle nur einmal kurz die daraus entstehenden Problematiken an. Zellen von Früchten oder Nüssen haben einen relativ hohen Wasseranteil, wobei das meiste Wasser in Hydrathüllen gebunden ist. Bei Frost quetschen wachsende Eiskristalle die Zellen von innen und beschädigen das Skelett ebenso wie Membransysteme und den Zellkern. Zusätzlich kommt es beim Wasserentzug durch Kristallisation zu diversen schädlichen Effekten, die als „solution effects“ zusammengefasst werden.
Wird weiter Wasser entzogen, lagern sich die Kohlenwasserstoffketten aufgrund der hydrophoben Wechselwirkungen (Van-der-Waals-Kräfte) dichter zusammen. Durch den festeren Zusammenhalt erhöht sich der Schmelzpunkt der Membran. Das heißt, die Membran geht vom Flüssigkristall- in einen Gelzustand über. Im Gelzustand ist die Membran wesentlich weniger flexibel und bricht vor allem an der Kontaktzone zwischen Lipiden und Membranproteinen.
Durch diese und noch weitere Wechselwirkungen, auf die ich hier nicht weiter eingehen will, entsteht der Verlust von Cremigkeit bis hin zum Gefrierbrand, den man häufig in der Eistheke findet, wenn das Eis nicht mehr frisch ist.
Vor welchen Problemen steht man also bei der Eisherstellung in der Eisdiele?
• Die cremige Konsitenz muss mindestens 48 Stunden vorhalten.
• Die Herstellungskosten für das Eis müssen unter 10 Cent pro Portion liegen. Und das inkl. Waffel und / oder Becher.
• Das Eis darf nicht zu schnell zerlaufen.
Fangen wir mit der einfachsten Lösung an: der Verhinderung des schnellen Zerlaufens. Bei einigen Eissorten könnte man sich mit natürlichen Stoffen wie Eigelb oder echter Gelatine behelfen. Allerdings lassen sich beide nicht so einfach handhaben. Daher bedient man sich hier industrieller Verdickungsmittel wie zum Beispiel Alginsäure (E 400), Natriumalginat (E 401), Kaliumalginat (E 402), Agar-Agar (E 406), Johannisbrotkernmehl (E 410) oder dem sehr beliebten Xanthan (E 415), das auch einem billigen Joghurt oder Ketchup auf die Sprünge hilft. Darüber hinaus gibt es natürlich noch viele weitere.
Wie der Name schon sagt, binden diese Mittel das Wasser und verhindern so das Tropfen auf die Hose. Da der Darm die meisten dieser chemischen Stoffe nicht abbauen kann, gelten diese sogar als Ballaststoffe. Zudem braucht man nur einige wenige Gramm pro Kilogramm Eis und hat schon eine sehr kostengünstige Lösung für das Problem.
Nun zum zweiten Problem: die Kosten. Nehmen wir zum Beispiel Erdbeere-Sahne und Pistazie, zwei meiner Lieblingssorten. Erdbeeren geben nicht sehr viel Geschmack ab. Hier muss der Saft schon in großer oder sehr konzentrierter Menge eingesetzt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass kalte Speisen ohnehin weniger intensiv schmecken, als warme. Das gleiche gilt für die Pistazie. Sie ist sehr teuer und in der Weiterverarbeitung extrem aufwendig. Die Nuss wird kalt gewalzt und das Püree kostet dementsprechend sehr viel Geld. Es wird also schnell klar, dass eine Kugel echte, pure Pistazie oder Erdbeere schlicht nicht für so wenig Geld herzustellen ist. Da helfen dann neben ein ganz bisschen echter Erdbeere oder Pistazie vor allem künstliche Aromen.
Ähnlich wie bei Xanthan, das während der Verdauung von Bakterien entsteht, sind Pilze und Sägespäne bei einigen Erdbeeraromen im Spiel. Diese Aromen sind sehr billig und gleichzeitig sehr Geschmacksintensiv. Doch auch hier gibt es große Unterschiede in der Qualität und im Geschmack. Um den Profit zu steigern, wird immer häufiger der Anteil der natürlichen Aromen (weil sehr viel teurer und meist nicht so intensiv) durch rein künstliche Aromen ersetzt. Einige schlaue Eisdielenbesitzer kühlen daher ihr Eis nicht mehr nur bei -12 sondern eher bei -8 Grad. Da fällt der fade Geschmack nicht so auf.
Nun zum kompliziertesten aller Probleme in der Eisdiele: die Konsistenz. Um ein Eis besonders cremig zu gestalten, brauchen wir eine kontrollierte Umgebung. Das Eis muss unter ständiger, langsamer Bewegung langsam auf -7 bis -12 Grad gekühlt werden. Das übernehmen moderne Eismaschinen. Allerdings reicht das nicht aus. Es bedarf einer Art Frostschutzmittel, welches die Kristallbildung zusätzlich unterbindet. Hier kommen vor allem Zucker und Fett in Frage. Beide sind aber auch Geschmacksträger und zudem extrem teuer. Anders als bei Bindemitteln kann ich hier also nicht beliebig dosieren, da ich den Geschmack damit sehr stark verändern würde. Und genau darum ist es so schwer, eine gute Balance zwischen Fett, Zucker, dem eigentlichen Geschmacksträger, Salz und der Frostschutzeigenschaft zu finden.
Bei natürlichem Eis gibt es schon eine große Vielfalt an Lösungen, die aber leider zu teuer sind. Echtes Pistazienpüree bringt zusammen mit etwas Haushaltszucker genau wie 30-prozentige Sahne zusammen mit einer Erdbeerzuckerlösung genügend Frostschutzeigenschaften für frisches Eis mit sich. Das ist aber nicht bei allen Geschmackskombinationen und schon gar nicht für wenig Geld machbar.
Nehmen wir mal das Beispiel Zucker. Jeder Zucker hat eine andere Süßkraft im Verhältnis zur Antigefriereigenschaft.
Ausgehend vom Haushaltszucker werden die verschiedenen Zucker im Verhältnis der Süße, der damit verbundenen Fülleigenschaft und der Antigefriereigenschaft eingeordnet.
Nehmen wir mal drei Beispiele. Traubenzucker hat nur 0,5 mal so viel Süßkraft wie Haushaltszucker und eine ähnliche Frostschutzwirkung. Will ich also ein weniger süßes Eis haben, kann ich die Menge Haushaltszucker durch Traubenzucker ersetzen. Möchte ich die gleiche süße erreichen, muss ich die doppelte Menge an Traubenzucker verwenden und verändere damit die Konsistenz der Eiscreme extrem, da Zucker einen hohen Anteil an einer Eiscreme ausmacht. Teilweise sehr weit über 20%.
Anders normaler Fruchtzucker, der eine bis zu 1,8 mal stärkere Süßkraft im Vergleich zu Haushaltszucker mitbringt. Hier wird die Dosierung noch schwieriger. Für die gleiche Süße müsste ich nur einen Bruchteil der Menge verwenden und würde auch hier die Konsistenz sehr stark verändern. Wir liegen aber noch in einem gut kontrollierbaren Bereich.
Anders verhält es sich schon mit Saccarin oder Thio-Superaspartam, welche eine 300- bzw. 50.000-fache Süßkraft gegenüber Haushaltszucker aufweisen, allerdings kaum messbare Frostschutzwirkung haben.
Das ganze ist also nicht ganz so einfach. Wo früher noch mit der Zuckerwage gearbeitet wurde, braucht es heute einen Lebensmittelchemiker, um eine möglichst kostengünstige Lösung für das Problem zu finden. Da heute kaum jemand in der Eisherstellung traditionell ausgebildet ist und diese Herstellung ja auch unwirtschaftlich wäre, allerdings auch keine Lebensmittelchemiker in der Eisdiele um die Ecke arbeiten, behilft man sich mit sogenannten Eispulvern.
Dahinter verstecken sich verschiedene Zucker, Bindemittel und billige Streckmittel wie Maltodextrin. Diese Mischung ist die Lösung für die Eisdiele um die Ecke. Früher wurde zu dieser Mixtur noch Milch und echte Aromen gegeben. Heute ist es oft nur noch Wasser. Die Milch wird durch Milchpulver ersetzt. Ein paar Krümel Nuss oder eine Erdbeere in der Eistheke gaukeln einem hin und wieder noch ein wenig Frische vor.
Die Industrie hat es da noch ein wenig leichter. Die zu feste Konsistenz bekommen diese einfach weg, indem Sie die Eiscreme mit Luft (Stickstoff) aufschlagen und damit das Volumen vervielfachen und eine echte Cremigkeit vortäuschen. Dann nennt man das Eis noch Cremissimo und die Täuschung ist perfekt. Haben Sie mal beobachtet wie sich zum Beispiel das Magnum seit 1995 verändert hat? Erst wurde es leichter, weil mehr Luft eingearbeitet wurde. Dann teurer, dann auch noch kleiner und wieder teurer. Langnese hat mit Marketingmillionen den Gewinn maximiert und die Inhaltsstoffe gleichzeitig immer günstiger werden lassen. Das schafft die Eisdiele um die Ecke natürlich nicht. Ergo werden die Zutaten günstiger, die technischen Hilfsmittel können aber nicht mehr mithalten. Daher leidet häufig der Geschmack. Vielen fällt das gar nicht auf, da wir ja schon zu sehr an den schlechten Geschmack gewöhnt sind.
Ich finde es immer belustigend, wenn sich jemand über objektiv sehr schlechtes Erdbeereis freut wie ein kleines Kind. Wo sind wir da nur hingekommen?
Dies ist nur ein ganz kleiner Abriss in die Gegenwart der Eisherstellung. Warum habe ich aber meinen Sonntagabend geopfert, um diesen Artikel zu schreiben? Das war reiner Zufall. Ich blätterte heute in einer etwas älteren „Spektrum der Wissenschaften“ herum und fand einen Artikel über „Anti-Frost-Proteine“. In diesem durchaus erwähnenswerten Artikel las ich über Wasser, welches nicht in reiner Form vorliegt, sondern gelöste Stoffe enthält (z.B. Zucker, Salz, Aromen, etc.)., Das macht das Verhalten bei sinkender Temperatur sehr komplex. Denn gelöste Stoffe senken allgemein das chemische Potenzial (μ) von Wasser, was zu einer Erhöhung der Siedetemperatur und Senkung des Gefrierpunktes führt, da bei einer bestimmten Temperatur die Phase mit dem niedrigsten μ am stabilsten ist. Dies ist eine so genannte kolligative Eigenschaft, da die Stoffmenge und nicht die Stoffart für das Ausmaß der Temperaturveränderung maßgeblich ist. Pro Osmol sinkt der Gefrierpunkt von Wasser um 1,86°C. Hier kommen die neu Entdeckten „Anti-Frost-Protinie“ ins Spiel, mit denen man genau dieses Verhalten viel besser als mit Zucker, Fett und Salz in den Griff bekommt. Die sogenannten AFPs aus Fischen werden bereits Lebensmitteln zugemischt. Der Konzern Unilever, Hersteller von Magnum-Eis, lässt ein entsprechendes Protein von einer gentechnisch veränderten Hefe erzeugen. Speiseeis wird damit noch cremiger, da beim Gefrieren keine groben Eiskristalle entstehen.
Und genau hier hat es klick gemacht. Ich habe mich damals mit dem besten Eis der Welt beschäftigt, weil ich Inhaber eines eCommerce Unternehmens für die besten Gastronomen der Welt war. Seit nun über zehn Jahren bin ich zwar raus aus der Eisszene (eispreis.de) aber dafür dem eCommerce noch mehr verschrieben. Ich war damals so erfolgreich, weil ich kein „Koch“ war. Ich war zeitlebens der IT verschrieben ;-) Ich bin also nicht den normalen Pfaden gefolgt, sondern habe die Wissenschaft zum Bauchgefühl dazu gezogen und so einige der eindrucksvollsten Geschmackserlebnisse dieses Planeten mit auf den Weg bringen dürfen.
Fazit: Eismacher müssen sich Heute differenzieren und wieder mehr Handwerk in das Eis einfliessen lassen. Denn genau das kann die Industrie nicht!