Eisqualität verstehen

Warum gibt es kaum gutes Speiseeis in Eisdielen? Die wissenschaftlichen Hintergründe der modernen Eisherstellung

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Das Grundproblem

Ganz einfach: weil gutes Eis nur ganz frisch leicht herzustellen ist. Sobald man es haltbar machen will, wird es richtig kompliziert. Zudem ist echte Eiscreme teuer.

Die meisten von uns kennen gar keine richtig gute Eiscreme. Gemeinsam mit Juan Amador, einem der besten 3-Sterne-Köche Europas, habe ich die beste Eismaschine für die Spitzengastronomie entwickelt und bin dabei tief in die Wissenschaft des Eismachens eingetaucht.

Über den Autor

Als ehemaliger Inhaber eines eCommerce-Unternehmens für die weltbeste Gastronomie habe ich nicht den normalen Pfad als "Koch" verfolgt, sondern die Wissenschaft zum Bauchgefühl dazugezogen. So entstanden einige der eindrucksvollsten Geschmackserlebnisse dieses Planeten.

Frisches Eis: So geht es richtig

Sorbet (einfach)

100% Fruchtsaft, Zucker, eventuell Zitronensaft und eine Prise Salz auf -15°C frieren, mit einer Gabel aus dem Behälter kratzen und direkt servieren. Sehr einfach und ein echter Genuss.

Eiscreme (schwieriger)

Milch, Sahne, Fruchtsaft, Zucker, Salz langsam runterkühlen und dabei in ständiger, sanfter Bewegung halten. Bei ca. -12 bis -15°C erreicht man die perfekte cremige Konsistenz.

Das Problem der Haltbarkeit

Was im Gourmetrestaurant funktioniert, ist in der Eisdiele schwierig und in der Industrie fast unmöglich. Das Eis verliert seine Cremigkeit in der Eisvitrine und ist für die Industrie nicht fest genug.

Die drei Hauptprobleme der Eisdielen

1
Haltbarkeit
Die cremige Konsistenz muss mindestens 48 Stunden in der Eisvitrine vorhalten, ohne Geschmack oder Textur zu verlieren.
2
Kosten
Herstellungskosten müssen unter 10 Cent pro Portion liegen - inklusive Waffel und Becher. Natürliche Zutaten sind zu teuer.
3
Konsistenz
Das Eis darf nicht zu schnell zerlaufen, muss aber trotzdem cremig bleiben. Ein Balanceakt zwischen Zusatzstoffen und Geschmack.

Die industriellen "Lösungen"

Verdickungsmittel gegen das Tropfen

Alginsäure E 400 Aus Seetang gewonnen
Natriumalginat E 401 Wasserbindend
Johannisbrotkernmehl E 410 Natürlicher Verdicker
Xanthan E 415 Auch in billigem Joghurt und Ketchup

Wissenschaftlicher Fakt

Diese Mittel binden Wasser und verhindern das Tropfen. Da der Darm sie nicht abbauen kann, gelten sie als Ballaststoffe. Nur wenige Gramm pro Kilogramm reichen für eine kostengünstige "Lösung".

Das Kostenproblem: Geschmack wird teuer

Nehmen wir Erdbeere-Sahne und Pistazie als Beispiele:

Erdbeere

Erdbeeren geben wenig Geschmack ab. Der Saft muss in großer oder konzentrierter Menge eingesetzt werden. Kalte Speisen schmecken zudem weniger intensiv als warme.

Pistazie

Sehr teuer und aufwendig in der Verarbeitung. Die Nuss wird kalt gewalzt, das Püree kostet entsprechend viel. Echte Pistazie ist für wenig Geld nicht herzustellen.

Künstliche Aromen aus Pilzen und Sägespänen sind sehr billig und geschmacksintensiv. Einige schlaue Eisdielenbesitzer kühlen ihr Eis nur noch bei -8°C statt -12°C, damit der fade Geschmack nicht so auffällt.

Die komplexe Wissenschaft der Konsistenz

Um Eis cremig zu gestalten, brauchen wir eine kontrollierte Umgebung und "Frostschutzmittel" zur Kristallbildung. Hier kommen Zucker und Fett ins Spiel - aber beide sind Geschmacksträger und teuer.

Kristallbildung verstehen

Bei Frost quetschen wachsende Eiskristalle die Zellen von innen und beschädigen Skelett, Membransysteme und Zellkern. Beim Wasserentzug durch Kristallisation entstehen "solution effects" - schädliche Nebeneffekte.

Membran-Problematik

Kohlenwasserstoffketten lagern sich durch Van-der-Waals-Kräfte dichter zusammen. Der Schmelzpunkt der Membran erhöht sich, sie wird weniger flexibel und bricht - der Verlust von Cremigkeit bis hin zum Gefrierbrand.

Das Zucker-Dilemma

Jeder Zucker hat eine andere Süßkraft im Verhältnis zur Antigefriereigenschaft:

Traubenzucker 0,5x Süßkraft von Haushaltszucker
Fruchtzucker 1,8x Süßkraft von Haushaltszucker
Saccharin 300x Süßkraft, kaum Frostschutz

Industrie-Tricks: Luft als Cremigkeit

Die Industrie löst das Konsistenzproblem einfach: Eiscreme wird mit Luft (Stickstoff) aufgeschlagen, das Volumen vervielfacht und echte Cremigkeit vorgetäuscht.

Das Magnum-Beispiel

Seit 1995 wurde Magnum systematisch verschlechtert: Erst leichter (mehr Luft), dann teurer, dann kleiner und wieder teurer. Mit Marketingmillionen wurde der Gewinn maximiert, die Zutaten günstiger.

Die Eisdiele um die Ecke kann das nicht. Daher werden die Zutaten günstiger, aber die Technik kann nicht mithalten. Der Geschmack leidet - vielen fällt das nicht auf, da wir zu sehr an schlechten Geschmack gewöhnt sind.

Ich finde es immer belustigend, wenn sich jemand über objektiv sehr schlechtes Erdbeereis freut wie ein kleines Kind. Wo sind wir da nur hingekommen?

Die Zukunft: Anti-Frost-Proteine

Neue "Anti-Frost-Proteine" (AFPs) aus Fischen werden bereits Lebensmitteln zugemischt. Der Konzern Unilever lässt entsprechende Proteine von gentechnisch veränderten Hefen erzeugen.

Kolligative Eigenschaften

Gelöste Stoffe senken das chemische Potenzial von Wasser, was zu Siedepunkt-Erhöhung und Gefrierpunkt-Senkung führt. Pro Osmol sinkt der Gefrierpunkt um 1,86°C. AFPs kontrollieren dies besser als Zucker, Fett und Salz.

Das Fazit

Eismacher müssen sich heute differenzieren und wieder mehr Handwerk ins Eis einfließen lassen. Denn genau das kann die Industrie nicht!

Was können Sie als Verbraucher tun?

Erkennen Sie gutes Eis

  • Wenige, natürliche Zutaten
  • Tägliche Frischproduktion
  • Realistische Preise für Qualität
  • Natürliche Geschmacksintensität

Seien Sie misstrauisch bei

  • Übermäßig intensiven Aromen
  • Verdächtig günstigen Preisen
  • Eis das nicht schmilzt
  • Langen Zutatenlisten